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Oktober 1985 - Als der Trainer aus dem Bus stieg

Im Sommer 1985 starteten die Auer Veilchen auch diesmal mit Viking Stavanger zu Hause gegen eine norwegische Vertretung in den Intertotocup und trennten sich vor 8.000 Zuschauern 0-0. Nach jahrelanger Abstinenz nutzte seit 1984 auch wieder der DDR-Fußballverband diese attraktive Spielmöglichkeit zur Saison-Vorbereitung. Das Problem lag dann allerdings darin, diese Begegnungen aus dem Grundlagen-Training heraus zu absolvieren, so daß gewisse Mängel in der Spielfitneß nicht ausblieben. Sinn und Zweck dieses Wettbewerbes war es, in der meisterschafts- und pokallosen Sommerzeit mit attraktiven Begegnungen die Tipzettel der Toto-Gemeinschaften in Europa zu füllen. Einst spielte man sogar einen Sieger aus. Danach begnügte man sich eingedenk des umfangreichen europäischen Terminkalenders mit der Ermittlung von Gruppensiegern und honorierte diese dann mit jeweils 10.000 Schweizer Franken.

Im Jahr zuvor (1984) quittierte Wismut Aue gleich im Auftaktspiel zu Hause gegen Norwegens SK Lilleström über eine 0-2 Niederlage. Am Ende wurden die Veilchen ohne Sieg nur Gruppenletzter. „Aber das Lehrgeld welches wir damals zahlten, haben wir im Verlauf der Saison zurückbekommen", so Wismut-Kapitän Jörg Weißflog. Während die beiden anderen Teilnehmer aus der DDR-Oberliga der FCK und der 1. FCM in ihrer Intertoto-Gruppe Zweiter und Dritter wurden aber in der Meisterschaft nur Neunter und Fünfter, qualifizierte sich Aue als Vierter für den Europacup und abermals für den IFC. Dem damals gescholtenen Trainer Hans-Ullrich Thomale wand man am Ende der Saison 1984/85 plötzlich Kränze. Nach vierjähriger Arbeit hatte er das Optimum aus der Mannschaft herausgeholt, die beste Bilanz seit 1962/63 erreicht.

Danach sollte Thomale den 1. FC Lok Leipzig endlich einmal meisterfähig machen, während im Lößnitztal ein neuer Mann auf der Trainerbank Platz nahm, Harald Fischer. Der übernahm dann offensichtlich eine intakte und auch unveränderte Mannschaft. Darüber hinaus kam der neue Trainer im gleichen Alter wie 1981 Thomale (36) nach Aue und ebenfalls mit einer zehnjährigen Erfahrung als Nachwuchstrainer. Beide waren auch im Bezirk Dresden geboren (Meißen/Malschwitz), nur Thomale entstammt der Jenaer Fußballschule, während Fischer von 1974 bis 1984 seine Erfahrungen in der Dresdner Dynamo-Schule machte, ehe der einstige Leichtathlet und Leipziger DHfK-Student via Wismut Pirna-Copitz am 2. Juni 1985 Juni nach Aue kam. „Ich bin hier freundlich aufgenommen worden. Aber ich weiß natürlich, daß der Erwartungsdruck enorm ist. Ich bin mir dieser Verantwortung bewußt und will mit dieser Mannschaft ihre Position im DDR-Fußball festigen", so sagte der Mann dessen Reverenz es damals war, mit den späteren Nationalspielern wie Ulf Kirsten oder Jörg Stübner schon Spartakiade- und Jugendmeister der DDR geworden zu sein.
Der Familienvater zweier Kinder hatte folglich seinen Spielern auch für den Urlaub „Schulaufgaben mitgegeben. „Die Zeit der Vorbereitung war ja schließlich am kürzesten", so Fischer. Nach dem guten Start in die 1985er IFC-Runde mit einem Remis gegen Stavanger und dem 3-2 Sieg gegen den Bundesligaabsteiger Eintracht Braunschweig sagte Fischer von seinen Spielern: „Die Bereitschaft zur Mitarbeit ist groß. Ich habe zwar keine Angst vor der neuen Aufgabe. Aber dieser Umstand hilft mir, optimistisch in die Zukunft zu blicken." Diese IFC-Spiele gründlich zu nutzen, um schließlich in der neuen Saison für Furore im Europacup und in Meisterschaft und Pokal zu sorgen, das war Harald Fischers größter Wunsch.

Die gleiche Entwicklung, die sein Vorgänger Thomale beim Einstieg in die Oberliga mit Wismut nahm, wäre Harald Fischer, der in der Jugendarbeit von Dynamo Dresden Gutes Leistete, in Aue zu wünschen gewesen. „Eine der wichtigsten Erkenntnisse dieses IFC war aber fraglos die Steigerungsfähigkeit der gesamten Mannschaft, die in Stavanger (1-0) beim letzten Spiel, als es um den Gruppensieg ging, alles gab und eine tadelsfreie Leistung bot. „Ohne die Auswahlspieler jörg Weißflog und Steffen Krauß war dies der Sieg des ganzen Kollektivs", schätzte der neue Mann am Trainerpult ein. „In der Torgefährlichkeit, der Spielgestaltung und Entwicklung haben wir noch Reserven. In Stavanger hatten wir nur die Möglichkeit, bei einem Sieg Erster,- ansonsten aber Vierter zu werden. Hochgradig konzentriert, hat sich meine Mannschaft diesem ,Alles oder Nichts' gestellt und ist, ohne einen Fehler zu machen, mit dem Platz eins belohnt worden."
Auf alle Fälle registrierte der Trainer erfreut, daß die gesamte Truppe in der Vorbereitung

Fuwo-Spielbericht zum Pokalspiel bei Schiffahrt Hafen Rostock. Quelle: Archiv Burg

willig mitzog. Nach dem Gruppensieg im IFC, den Uwe Bauer mit einem verwandelten Handelfmeter in Stavanger sicherstellte, war nach einer zweiwöchigen Pause Start in der Meisterschaft. Das Sportecho prognostizierte: „Viel wird von einem gelungenen Start abhängen, der Wismut freilich mit Pokalsieger Dynamo Dresden (auswärts) und Meister BFC Dynamo (daheim) gleich die beiden Favoriten an den beiden ersten Oberliga-Spieltagen beschert. „Wir werden uns nicht verstecken und unsere fraglos geringen Chancen wahren", sieht Harald Fischer die Schwere der Aufgabe durchaus realistisch. Doch in der Meisterschaft blieben die Veilchen 5 Punktspiele lang ohne Sieg. Der einzige Sieg gelang in dieser Phase im FDGB-Pokal beim Karl-Marx-Städter Bezirksligisten Krumhermersdorf mit 3-0 ohne zu überzeugen. Nach dem Aus im Europapokal gegen Dnepr Dnepropetrowsk (1-3 und 1-2) schaffte die Mannschaft, Anfang Oktober, am 6. Spieltag gegen den Tabellenletzten FC Vorwärts Frankfurt/O. den ersten Punktspielsieg (3-2).

Doch nur eine Woche später beim zweiten FDGB-Pokalauftritt, am 12. Oktober, war im Stadion der Seeverkehrswirtschaft in Rostock die Bezirksliga-Elf Schiffahrt/Hafen den Auern konditionell überlegen. „Wir hielten es nicht für möglich nach dem 2-2 noch eine Chance zu haben, aber eigenartigerweise baute Wismut physisch ab", meinte Karl-Heinz Hass von der BSG-Leitung des Siegers. Und er setzt nach dem 4-2 n.V. hinzu: „Aue spielte nicht in der Form, wie wir es erwartet hatten." Erstaunlich die Wirkungslosigkeit der Auer Strategen Mothes, Escher, St. Krauß, ja auch Erler, Wismut konnte kaum Torchancen herausspielen. Die Riesenchance, schon nach 90 Minuten alles zu entscheiden, vergab dann der sonst immer treffende Elfmeterschütze Peter Schlesinger (82.). Weißflog lag schon in der Ecke, doch der Ball flog gegen den anderen Pfosten. Statt des 3-1 folgten das 2-2 durch Pietsch (86.) und die Verlängerung. Imponierend, daß der Tabellenerste der Bezirksliga-Rostock in der Verlängerung sogar mehr zum Zusetzen hatten als der Oberliga-Vertreter. Nun bliesen die Rostocker erst richtig zum Sturm und gewannen hochverdient.
Aues Trainer Harald Fischer konnte nur ein enttäuschtes Fazit ziehen: „Wir waren heute vom Oberliganiveau weit entfernt, erreichten längst nicht unser Leistungsvermögen. Die gesamte Mannschaft wirkte nach den Belastungen der letzten Wochen einfach überfordert, hatte zu wenig Spielerisches zu bieten und beging dazu noch taktische Fehler."

Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht Fischer wäre auf der Rückfahrt vom Pokalspiel in Rostock einfach aus dem Bus gestiegen und wart fortan nicht mehr zu sehen. Einer der es wissen mußte wie es wirklich war ist Aues Mittelfeldspieler Jürgen Escher der mit im Bus saß: „Nein, das stimmt so nicht. Ich habe das nicht als Rausschmiss empfunden. Wir hatten ein Pokalspiel bei Schiffahrt/Hafen Rostock, was leider verloren ging. Daraufhin hat Harald Fischer seinen Rücktritt erklärt. Er wurde also nicht von der Leitung beurlaubt oder gekündigt, sondern erklärte von sich aus seinen Rücktritt. Er wurde auch nicht auf dem Parkplatz „rausgeschmissen“, sondern er ist nur ausgestiegen, weil er da sein Auto geparkt hatte. Er wäre dort also so oder so ausgestiegen. Im Nachhinein muss man sicherlich sagen, dass er zu wenig Erfahrung im Umgang mit Männermannschaften hatte. Er war jahrelang als Jugendtrainer bei Dynamo Dresden sehr erfolgreich. Aber in Aue machte er intern einige Dinge anders als vorher und versuchte sicherlich, einiges aus seinen Erfahrungen im Jugendbereich auf uns zu übertragen. Aber diese Dinge erwiesen sich im Nachhinein als nicht gut.“

Aues Trainerbank gegen Stavanger. v.l.n.r: sein Co-Trainer Konrad Schaller, Harald Fischer, Dr. Eberhard Winkler (Mannschaftsarzt), Uwe Herold (Auswechselspieler) Foto: Frank Kruczynski


Harald Fischer war die Niederlagenserie seiner Elf offensichtlich auf den Magen geschlagen. Am Sonnabend vor dem Oberligaspiel gegen Riesa, eine Woche später nach dem Pokalaus, meldete er sich nach offiziellen Angaben krank. Als junger Trainer hielt er den plötzlich auf ihn einstürzenden Streß der Oberliga nervlich nicht durch, er mußte aus dem Trubel mal aussteigen hörte man aus dem Umfeld. Wenn die Mannschaft momentan stagniert, so wollte Aues-Sektionsleiter Richard Velek das durchaus nicht als Misere verstanden wissen. Er sagte vielmehr: „Wir waren der schnellen eigenen Entwicklung einfach nicht mehr gewachsen." Die Auer kamen im Sommer zwar noch zum IFC- Gruppensieg, aber anschließend war ein Substanzverlust im Europapokal, in Meisterschaft und Pokal unübersehbar. Trotz Ehrgeiz und Willenskraft der Mannschaft einerseits und der Mühe und dem Aufwand des neuen Trainers Harald Fischer andererseits, ließ sich der „Leistungsakku" der Mannschaft so schnell nicht wieder aufladen. Den jungen Trainer hat diese unbefriedigende Situation schließlich nervlich so sehr mitgenommen, daß er selbst um die Entbindung von seiner Funktion bat, „obwohl er bei uns ordentliche Arbeit leistete und sehr engagiert zu Werke ging“, so Velek.

Jedenfalls übernahm zunächst Konrad Schaller, der seit 20 Jahren im veilchenfarbenen Trainingsanzug der Auer steckt, zum ersten Mal in seiner Trainerlaufbahn die Alleinherrschaft auf der Bank. Er selbst sah darin eine schwere wie reizvolle Aufgabe. „Es kann nur mein Anspruch

Mitteilung im Sportecho in der Woche nach dem Riesa-Heimspiel. Quelle: Archiv Burg

sein, mit der Mannschaft in Ruhe und Beharrlichkeit an den alten Wismut-Geist zu appellieren, um aus der Talsohle heraus und bald wieder in jene Regionen zu kommen, wo wir in den letzten zwei Jahren waren“, sagte Schaller selbst. Es war ihm anzusehen, welch ein Stein ihm vom Herzen gefallen war, als im Spiel eins nach Fischer die Mannschaft mit dem 2-0 über Riesa ihren zweiten Sieg in der Oberliga feiern konnten. „Endlich! Das Meisterschaftstreffen mit Riesa war ein Schlüsselspiel für uns. Jetzt schöpfen wir alle wieder Mut“, so Aues neuer Man auf der Bank. (Burg)

Geschrieben von Burg am 01.11.2020, 11:42   (2043x gelesen)